„Der Aberglaube erlebt eine Renaissance, sowohl auf den Verschwörungstheorieseiten auf Facebook als auch auf Webseiten, die so tun, als könne man die Welt besser mit ganz viel Phantasie als mit wissenschaftlicher Methodik durchblicken.“
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Hass und Hetze im Internet sind dieser Tage ein ubiquitäres Phänomen. Der Blick in soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram zeigt: Der Ton im digitalen Diskurs ist rau geworden. Fake News und Verschwörungsnarrative erfahren im Zuge der Corona-Pandemie eine regelrechte Hochkonjunktur und verleiten Menschen dazu, ihre geballte Aggression in die Kommentarspalten zu entladen. Aktuell werden vor allem prominente Akteure im Kampf gegen das Corona-Virus zum Ziel menschenfeindlicher Verbalattacken und Bedrohungen im Internet – so etwa der Virologie Christian Drosten und der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Dass dieser Hass im Netz weitreichende Konsequenzen haben und Menschen in letzter Konsequenz zu gewalttätiger Hasskriminalität anstacheln kann, zeigte nicht zuletzt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer 2019. Auch in diesen Tagen radikalisieren sich selbst ernannte „Querdenker“ in bestimmten Telegram-Gruppen so weit, dass letztlich Brandsätze auf das Robert-Koch-Institut geworfen werden.
Mit Blick auf derartige Entwicklungen drängte sich mir stets die Frage auf: Woher kommt eigentlich dieser Hass? Warum schreiben die Menschen im Internet Kommentare, die sie einem anderen so niemals ins Gesicht sagen würden?
Antworten auf diese drängenden Fragen habe ich in „Hass im Netz“ gefunden. Die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig erklärt uns, wie die besonderen psychologischen Wirkmechanismen des Online-Enthemmungseffektes Menschen die Verbreitung von Hasskommentaren erleichtern. Wir lernen, wie algorithmisch vorsortierte Echokammern und Filterblasen in sozialen Netzwerken zur Polarisierung der Gesellschaft, zur Verfestigung der eigenen Position und zur stetigen Fortsetzung des Hasses beitragen. Dabei verliert die Autorin auch die mit Hate Speech verwandten Phänomene Fake News, Cybermobbing und Verschwörungstheorien nicht aus dem Blick und ordnet die einzelnen Phänomene in einen größeren Kontext ein. Mit jeder Seite verstand ich mehr davon, wie der Hass im Netz entsteht und wie Hasskommentare mit anderen Phänomenen zusammenhängen.
Besonders überzeugte mich dabei die mühelose Leichtigkeit, mit der die Autorin aktuelle empirische Erkenntnisse in den Text eingearbeitet hat. Wenn sie anhand aktueller Studien bestimmte Erkenntnisse der psychologischen Forschung erläutert, kann ich als Laie ihr problemlos folgen und sehr viel mitnehmen. Da die Autorin jede besprochene Quelle in einer Fußnote angibt, kann man die einzelnen Studien bei näherem Interesse auch selbst noch einmal nachlesen und ggf. überprüfen. Ich persönlich habe dieses Buch begleitend zu meiner Arbeit an einem wissenschaftlichen Text zum Thema „Hate Speech“ gelesen und konnte zahlreiche, wertvolle Literaturhinweise aus diesem Buch mitnehmen.
Die Autorin beschränkt sich nicht darauf, das Phänomen „Hass und Hetze im Internet“ bloß zu beschreiben und dessen Ursachen darzustellen, sondern sie gibt uns Leser:innen darüber hinaus im zweiten Teil des Buches konkrete Handlungsanweisungen mit auf den Weg. Sie findet klare Worte dafür, warum digitale Zivilcourage ein zentraler Faktor im Kampf gegen Hass im Netz ist und warum wütende Gegenreaktionen die aggressive „Wir-gegen-die“-Rhetorik lediglich ins Unendliche multiplizieren. Mit anschaulichen Beispielen verdeutlicht Ingrid Brodnig, dass manchmal eine humorvolle Antwort den Schlüssel zur Entschärfung der angespannten Situation bereithalten kann. Schön ist, dass die Autorin viele Tipps für die Betroffenen von Hasskommentaren bereithält und diesen aufzeigt, wie sie sich – auch mit rechtlichen Mitteln – gegen Hass im Netz wehren können.
Fazit
„Hass im Netz“ ist ein gründlich recherchiertes Buch über ein allgegenwärtiges Netzphänomen, welches dieser Tage aktueller nicht sein könnte. Der Autorin gelingt es, die komplexen Zusammenhänge rund um den Hass im Internet verständlich und spannend zu vermitteln und ihre Leser:innen für diese wichtige Thematik zu sensibilisieren. Ich lege diesen Titel all jenen unter Euch sehr nahe, die Tag für Tag kopfschüttelnd durch die sozialen Netzwerke scrollen und nicht verstehen können, wie Verschwörungsideologien wie die aktuelle Querdenker-Bewegung dort so massive Verbreitung erfahren können. Ich empfehle dieses Buch auch all jenen, die nicht mehr zuschauen, sondern endlich handeln möchten – gemeinsam gegen den „Hass im Netz“.
Ingrid Brodnig
Brandstätter Verlag | 232 Seiten | Taschenbuch
ISBN 978–3‑7106–0035‑7 | 9,99 Euro