“Genug” von Louise Juhl Dalsgaard

„Fast jeden Tag spaziere ich runter zum See, da ste­he ich dann und rufe. Dass ich MEHR haben will, obwohl ich mehr als GENUG habe.“

Seite 149

Louise Juhl Dals­gaard schreibt aus der Per­spek­tive ein­er jun­gen Frau Anfang 20 darüber, wie es ist, sich zu ver­lieren. Die namen­lose Pro­tag­o­nistin lei­det seit knapp 10 Jahren an ein­er schw­eren Essstörung, die sie gefan­gen nimmt, ihre Gedanken lähmt und sie wieder und wieder ganz nah an den Abgrund ihrer Exis­tenz führt. Doch, wie kehrt man um, wenn man am Abgrund ste­ht? Und wohin führt der Weg, wenn nicht zurück?

Diese Geschichte ist beson­ders. In poet­is­chen Worten skizziert die Autorin das Gefühlschaos ihrer Pro­tag­o­nistin; mal leicht wie eine Fed­er, leise und kaum zu hören; mal wiegen ihre Worte ton­nen­schw­er, mal brüllen sie einem die Wahrheit laut und scho­nungs­los ins Gesicht, dass einem hin­ter­her die Ohren klin­geln. Es hat mich sehr beein­druckt, wie die Autorin ein so schwieriges und sen­si­bles The­ma in weni­gen Worten so geschickt ver­packt, dass das Lesen kaum leichter fall­en kön­nte und doch die nötige Tiefe nicht ver­mis­sen lässt.

Das ganze Buch beste­ht aus kurzen, weit­ge­hend unzusam­men­hän­gen­den Tex­ten, die manch­mal nur aus weni­gen Sätzen beste­hen und manch­mal mehrere Seit­en füllen. Gele­gentlich arbeit­et die Autorin Auszüge aus der Kranke­nak­te der Pro­tag­o­nistin ein, denen wir ent­nehmen kön­nen, wie die jew­eilige Sozialar­bei­t­erin, der behan­del­nde Arzt oder die Ther­a­peutin die Sit­u­a­tion der jun­gen Frau ein­schätzen. Obgle­ich die einzel­nen Texte nicht zusam­men­hän­gen und keine klare „Hand­lung“ des Buch­es erkennbar ist, kon­nte ich der Erzäh­lung stets gut fol­gen. Man sollte sich vor dem Lesen jedoch verge­gen­wär­ti­gen, dass „Genug“ vielmehr das Porträt dieser jun­gen Frau ist, als eine lin­ear aufge­baute Geschichte. Dieses Buch beste­ht allein aus schlaglichtar­ti­gen Ein­blick­en in die Gedanken­welt der Pro­tag­o­nistin, in ihr schwieriges Ver­hält­nis zu den eige­nen Eltern, in die innige Beziehung zu ihrem Brud­er, in die Ent­täuschun­gen und Kämpfe der Kind­heit und der Gegenwart.

„Genug“ ist lebendig, ehrlich und empathisch. Es bietet viele inter­es­sante Impulse zum Nach­denken und zur Reflex­ion des eige­nen Selb­st. Für meinen per­sön­lichen Geschmack war es aber lei­der doch etwas zu wenig Text. Ich wäre gern noch tiefer gegan­gen und hätte gern noch mehr erfahren über das Leben und Lei­den der Protagonistin.

Faz­it

„Genug“ ist ein sehr spezieller Roman, der in eben­so leichtem wie poet­is­chem Ton eine Frau porträtiert, deren Sicht auf die Dinge so schön, so chao­tisch und so schreck­lich schmerzhaft ist wie das Leben selbst.


Louise Juhl Dals­gaard | über­set­zt von Gerd Weinreich

Picus Ver­lag | 192 Seit­en | Hardcover

ISBN: 978–3‑7117–2105‑1 | 20 Euro

Katharina

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