“Der Funke des Lebens” von Jodi Picoult

„Wenn er während all sein­er Jahre als Abtrei­bungsarzt eins gel­ernt hat­te, dann das: Eine Frau, die nicht schwanger sein wollte, ließ sich auf Gottes grün­er Erde durch nichts aufhalten.“

 Seite 286

Eine Frauen­klinik in Jack­son, Mis­sis­sip­pi, USA: Als der Gynäkologe Dr. Louie Ward an diesem Tag die Klinik und mit ihr seinen Arbeit­splatz betritt, ahnt er noch nicht, dass wenige Stun­den später ein Kugel­hagel auf ihn, seine Mitar­bei­t­erin­nen und Pati­entin­nen niederge­hen wird. Als der Arzt sich draußen vor der Klinik an den laut­stark demon­stri­eren­den Abtrei­bungs­geg­n­ern und selb­ster­nan­nten Lebenss­chützern vor­bei stiehlt, weiß er noch nicht, dass der spätere Amok­läufer George God­dard bere­its auf dem Weg zu ihm ist. Auch als Dr. Ward die erste Abtrei­bung an diesem Mor­gen vorn­immt, rech­net er nicht damit, an diesem Nach­mit­tag eine Geisel zu sein.

Jodi Picoult erzählt in „Der Funke des Lebens“ ein­fühlsam die Geschicht­en der Frauen und des Arztes, die sich am Tag das Anschlags in der Frauen­klinik befan­den. Aus ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en zeigt uns die Autorin ihre Beweg­gründe und Gedanken, die sie an jen­em ver­häng­nisvollen Tag in die Klinik führten. Im Mit­telpunkt der Erzäh­lung ste­hen dabei die 15-jährige Wren und ihr Vater Hugh McEl­roy. Wren ist ohne Wis­sen ihres Vaters in der Frauen­klinik, als die ersten Schüsse fall­en. Hugh McEl­roy dage­gen obliegt als Unter­händler der Polizei Jack­son die Ver­ant­wor­tung, mit dem Geisel­nehmer zu ver­han­deln. Als er schließlich her­aus­find­et, dass seine Tochter eine der Geiseln ist, stellt sich ihm nur eine Frage: Wie kann er Wren retten?

Empathisch und dif­feren­ziert greift Jodi Picoult in diesem Roman mit der Frage nach der Zuläs­sigkeit von Schwanger­schaftsab­brüchen ein The­ma auf, das an gesellschaftlich­er Aktu­al­ität und Zünd­stoff nichts einge­büßt hat. Aus­ge­wogen wer­den die Argu­mente bei­der Seit­en aufge­grif­f­en; Sowohl Abtrei­bungs­geg­n­er als auch Abtrei­bungs­be­für­worter und betrof­fene Frauen wer­den hier gehört. Mir hat es sehr gefall­en, mich in die ver­schiede­nen Sichtweisen vorurteils­frei hinein­ver­set­zen zu kön­nen. Dabei hat­te ich zu kein­er Zeit das Gefühl, die Autorin wolle mir eine bes­timmte Mei­n­ung „auf­drück­en“, son­dern sie hat vielmehr wertvolle Impulse zum eige­nen Nach­denken gegeben.

Beson­ders span­nend (und schock­ierend zugle­ich) fand ich per­sön­lich die Ein­blicke in die amerikanis­che Abtrei­bungspoli­tik und die damit ein­herge­hen­den rechtlichen Beschränkun­gen, denen sich schwan­gere Frauen und Mäd­chen im Falle ein­er unge­woll­ten Schwanger­schaft aus­ge­set­zt sehen. Jodi Picoult hat hier eine beein­druck­ende Recherche-Arbeit geleis­tet und fasst in einem kleinen Sach­text am Ende des Buch­es gut ver­ständlich und über­sichtlich noch ein­mal die aktuellen Recht­sen­twick­lun­gen zur Legal­ität von Abtrei­bun­gen in den USA zusam­men. Diesen Text emp­fand ich als sin­nvolle Ergänzung, der es mir ermöglichte, den soeben gele­se­nen Roman in einen größeren Kon­text einzuord­nen. Für diejeni­gen, die sich ver­tieft für das The­ma inter­essieren, hält die Autorin am Schluss noch zahlre­iche weit­er­führende Quellen bereit.

Die Geschichte selb­st wird aus den vie­len ver­schiede­nen Sichtweisen der einzel­nen Pro­tag­o­nistin­nen und Pro­tag­o­nis­ten erzählt, die sich Stück für Stück wie Puz­zleteile zu einem großen Ganzen zusam­men­fü­gen. Dadurch lernt man jeden der indi­vidu­ellen und vielschichti­gen Charak­tere ken­nen und erfährt nach und nach, welche Schick­sale sie in die Frauen­klinik geführt haben.

Lei­der sind diese Hin­ter­gründe der Charak­tere auch das einzige, was man aus dem fortschre­i­t­en­den Lese­prozess noch mit­nehmen kann. Wie meine ich das? Nun, Jodi Picoult erzählt das Geschehen rück­wärts. Sie begin­nt um 17 Uhr und wirft die Lesenden mit­ten rein ins Geschehen. Man ist sofort mit­ten­drin im Amok­lauf; weiß, wer gestor­ben ist und wer über­lebt. Anschließend beg­ibt sich die Autorin mit jedem Kapi­tel eine Stunde in der Zeit zurück (16 Uhr, 15 Uhr bis 8 Uhr mor­gens). Zweifel­sohne ist dieses Stilmit­tel mal etwas „neues“. Nichts­destotrotz war bere­its nach dem ersten Kapi­tel so ziem­lich jede Span­nung raus und ich las ein­fach nur aus Inter­esse an dem generellen The­ma weit­er. Ich kon­nte mit den Charak­teren nicht mehr mit­fiebern; las zwar ihre Lebens­geschichte, wusste aber zugle­ich, dass sie diesen Tag nicht über­leben wür­den. Es war, als hätte ich das Ende des Buch­es zuerst gele­sen. Ich wusste, wie es aus­ge­ht und Jodi Picoults ver­meintlich geniales Stilmit­tel ent­pup­pte sich als laten­ter „Qua­si-Spoil­er“. Mich per­sön­lich kon­nte die Rück­wärt­serzäh­lung lei­der nicht abholen, aber möglicher­weise ist dies auch Geschmackssache.

Zulet­zt möchte ich noch eine kleine „Trig­ger-War­nung“ für dieses Buch aussprechen: Es wird teil­weise sehr expliz­it beschrieben, wie ein oper­a­tiv­er Abtrei­bungs-Ein­griff durchge­führt wird. Wer da empfind­lich ist, sollte diesen Titel eher mit Vor­sicht genießen. Mir macht­en diese Schilderun­gen jedoch nichts aus und ich habe sie inter­essiert gelesen.

„Der Funke des Lebens“ ist eine her­zliche Ein­ladung der Autorin Jodi Picoult zur Diskus­sion über eine der schw­er­sten medi­zinethis­chen Fra­gen, der sich eine Gesellschaft zu stellen hat. Ich empfehle Euch gern, diese Ein­ladung anzunehmen.


Der Funke des Lebens

Jodi Picoult | über­set­zt von Elfriede Peschel

C. Ber­tels­mann Ver­lag |448 Seit­en | Hardcover

ISBN 978–3‑570–10400‑2 | 20 Euro

Katharina

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