„Birdwatching bot mir die Chance, den „inneren Freak“ willkommen zu heißen und mich so zu akzeptieren, wie ich wirklich bin.“
Seite 283
Der Autor Joe Harkness schreibt über sich selbst und seinen ganz besonderen Weg aus einer tiefen Depression und Angsterkrankung heraus. Nachdem der junge Lehrer im Jahr 2013 einen schweren Zusammenbruch erlitt, probierte er eine unkonventionelle Art der Therapie aus: Er ging hinaus in die Natur und beobachtete Vögel. Schritt für Schritt fand er auf diesem Weg zu psychischer Gesundheit zurück und nun möchte er seine Leser:innen an dieser Erfahrung teilhaben lassen. Er erzählt seine Geschichte von Anfang an, beginnt mit dem Moment, in dem alles zu viel wurde und berichtet von ersten Kennenlern-Treffen mit anderen Vogelbeobachter:innen – den so genannten Birdern. Er beschreibt seine verschiedenen Vogelexkursionen, die „Jagd“ derer, die seltene Arten in Listen abhaken und nimmt uns mit an seinen ganz persönlichen Lieblings-Beobachtungsort.
Es ist schön, die Entwicklung des Autors zu begleiten und zu verstehen, wie ihm das Beobachten von Vögeln in der Natur bei der Bewältigung seiner psychischen Erkrankung geholfen hat. Ich bin selbst gern in der freien Natur und liebe es, verschiedene Vogelarten zu bestimmen. Daher kann ich die beschriebenen Erlebnisse sehr gut nachvollziehen.
Leider vermochte mich das Buch trotz der spannenden Thematik nicht so richtig zu packen. Mir fehlte in „Bird Therapy“ eine analytische, eine reflektierende Perspektive auf die Erfahrungen des Autors, die dem Ganzen die Tiefe gegeben hätte, die es für ein Buch über psychische Erkrankungen braucht. Leider sucht man nach etwaigen Erläuterungen, aussagekräftigen wissenschaftlichen Untersuchungen oder auch nur eigenen Einordnungen des Autors meist vergebens. Ich hätte gern mehr darüber erfahren, wie sich seine Erkrankung infolge der Vogelbeobachtung konkret entwickelt hat und welche Strategien Joe Harkness zur Bewältigung seines Alltags mitnehmen konnte.
Sein Bericht erschöpft sich in weitgehend deskriptiven Passagen, in denen die diversen Schattierungen von Grau-Braun-Tönen unterschiedlichster – mir bislang unbekannter – Vogelarten im Detail beschrieben werden. Mindestens ebenso ausführlich und repetitiv werden die – mir ebenfalls unbekannten – Landschaften im englischen Norfolk beschrieben. Wer sich weder bei den zahlreichen Vogelarten noch den gegenständlichen Landschaften besonders gut auskennt, wird sich früher oder später sehr langweilen. Dieser Eindruck wird leider verstärkt durch die ständigen Wiederholungen bereits ausgeführter Gedanken und die mangelnde Struktur des Buches.
Irritierend fand ich zudem die Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche. Die Formulierungen klangen teils konstruiert und ich konnte anhand der Übersetzung genau erkennen, wie der vormals englische Satz wohl ausgesehen haben muss. An einigen Stellen fragte ich mich wirklich, wo das Lektorat gewesen ist, als dieses Buch vorgelegt wurde (mein „Favorit“: „vortan“ statt fortan).
Fazit
Das Buch war eine nette Lektüre mit wunderbar beruhigender Wirkung vor dem abendlichen Schlafengehen. Mehr aber auch nicht. Meinen Erwartungen konnte „Bird Therapy“ leider nicht gerecht werden, obgleich ich vollkommen hinter der vermittelten Kernaussage stehe: Bewegung und Achtsamkeit in der Natur sind unendlich hilfreich in schwierigen Lebensphasen.
Joe Harkness | übersetzt von Ursula Bischoff
Nympenburger Verlag | 240 Seiten | Hardcover
ISBN 978–3‑485–03021‑2 | 18 Euro