“Der Morgen davor und das Leben danach” von Ann Napolitano

„Was passiert ist, Edward, ist in deine Knochen einge­bran­nt. Es lebt unter dein­er Haut. Es wird nicht wegge­hen. […] Und seit ich dich zum ersten Mal traf, bist du dabei zu ler­nen, wie du damit leben kannst.“

Seite 390

Dies sind die Worte von Dr. Mike. Er ist Psy­chother­a­peut und betreut Edward, der im Alter von 12 Jahren als einziger von 192 Pas­sagieren einen Flugzeu­gab­sturz auf dem Weg von New York nach Los Ange­les über­lebte. Die Geschichte ist inspiri­ert von einem realen Ereig­nis, bei dem nur ein neun­jähriger Junge den Absturz eines Flugzeugs über­lebte. Die Autorin fragte sich: Wie muss sich ein Kind fühlen, dem so etwas Schreck­lich­es passiert ist? Wie kann das Leben weit­erge­hen – danach? Wir find­en in diesem Buch Hin­weise darauf, wie die Antwort auf diese Fra­gen ausse­hen kön­nte. Denn wir begleit­en Edward dabei, wie er Schritt für Schritt wieder Fuß fasst im Leben. Wir ziehen gemein­sam mit ihm bei sein­er Tante und seinem Onkel ein, flücht­en aus ihrem großen, so frem­den Haus und ler­nen mit der gle­ichal­tri­gen Shay eine wun­der­bare Fre­undin ken­nen. Wir erfahren aber auch, was am Mor­gen „davor“ geschah und wie es zum Absturz des Flugzeugs kam. Die Autorin hat immer wieder Rück­blenden einge­baut, sodass wir einige der ver­stor­be­nen Pas­sagiere ken­nen­ler­nen und die drama­tis­che Sit­u­a­tion an Bord miterleben.

Mich per­sön­lich kon­nten diese Rück­blenden nicht so mit­nehmen, wie wohl von der Autorin intendiert. Zwar gefällt mir ihr Ansatz, dass nicht nur das ver­meintliche „Glück­skind“ Edward im Fokus der Erzäh­lung ste­hen soll und dass auch die ver­stor­be­nen Pas­sagiere die Aufmerk­samkeit bekom­men sollen, die sie ver­di­enen. Es wer­den im Rah­men der Rück­blenden auch dur­chaus The­men aufge­grif­f­en, die sehr zum Nach­denken über das eigene Leben anre­gen. Aber: Die Rück­blenden brin­gen die Geschichte nicht voran! Vielmehr nehmen sie Raum ein, der meines Eracht­ens der ver­tieften Betra­ch­tung von Edwards Innen­welt gebührt hätte. So aber hat man den Ein­druck, dass Edward nur ein­er von vie­len ist. Der Zugang zu Edward und seinen Erleb­nis­sen bleibt in der Folge nur sehr oberflächlich.

Viele Fra­gen bleiben offen – nicht zulet­zt jene danach, wie es möglich war, dass Edward als einziger den Flugzeu­gab­sturz über­lebte. Die Autorin beschränkt sich hier lei­der auf das „große Glück“, welch­es Edward hat­te. Lei­der wird auch die Frage, ob Edwards Schick­sal wirk­lich als Glück oder nicht vielmehr als Pech einzuord­nen ist, nicht so tiefge­hend beleuchtet wie ich es erwartet hat­te. Mein­er Mei­n­ung nach hat die Autorin es sich in der Auseinan­der­set­zung mit Edwards kom­plex­em Trau­ma zu ein­fach gemacht.

Lei­der kommt auch die Über­set­zung bisweilen äußerst wun­der­lich daher. Daher fällt es mir schw­er, den Schreib­stil der Autorin zu beurteilen. An zahlre­ichen Stellen fragte ich mich, ob sie sich wirk­lich so selt­sam aus­drückt oder ob ihre For­mulierung ein­fach nur eine unpassende Über­set­zung erfahren hat (z.B. „Er wurde aufge­brochen, als er zwölf Jahre alt war“ (S. 378) – wahrschein­lich wurde „broke“ hier etwas schräg übersetzt).

Faz­it

Mit Blick auf den Klap­pen­text und die Leseprobe hat­te ich andere Erwartun­gen an die Geschichte. Ich hat­te einen Roman erwartet, der ganz tief ein­taucht in Edwards Welt, der mit leisen Tönen und psy­chol­o­gis­chem Feinge­fühl unter die Haut geht. Lei­der blieb die Geschichte ins­ge­samt jedoch zu ober­fläch­lich, um diese Erwartung zu erfüllen.


Ann Napoli­tano | über­set­zt von Car­o­la Fischer

DIANA Ver­lag | 416 Seit­en | Klappenbroschur

ISBN: 978–3‑453–36048‑8 | 14,99 Euro

Katharina

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